Landkreis Holzminden (red). Corona hat die Gesundheitsbranche vor neue Herausforderungen gestellt. In der logopädischen Versorgung mussten Therapeut*en ihre Arbeit wegen ausfallender Präsenztherapien plötzlich neu organisieren. Viele von ihnen setzten dabei von Anfang an auf Videobehandlungen, um aus der Ferne Patient*innen weiter behandeln zu können, weiß Prof. Dr. rer. medic. Juliane Leinweber, die Therapiewissenschaften in der Studienrichtung Logopädie am Gesundheitscampus Göttingen, einer Kooperation von Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und HAWK, lehrt. Videobehandlungen konnten auch in der Logopädie durch eine Sondergenehmigung der Krankenkassen auf Bundesebene befristet realisiert werden.
Welches Potential und welche Vielfalt die Digitalisierung in der Logopädie hat, zum Beispiel, wie gut digitale Therapieformen in der Praxis funktionieren oder wie die Akzeptanz von neuen Technologien auf Seite der Therapeut*innen und Patient*innen ist, haben sich Prof. Leinweber und ihr Team sowohl in der Lehre als auch in der Forschung zum Schwerpunkt gemacht. Eine standortübergreifende Studie (ViTal - Videotherapie in der ambulanten logopädischen/sprachtherapeutischen Versorgung) zur Videobehandlung gemeinsam mit dem Bundesverband für Logopädie e. V. (dbl) ist bis Ende letzten Jahres durchgeführt worden. „Die Coronapandemie hat gezeigt, welche technischen Hürden es gibt, auch in der digitalisierten Versorgung von Patient*innen“, so Leinweber. So kann beispielsweise die Versorgung im ländlichen Raum bedeuten, dass „auf einmal die Internetverbindung unterbrochen ist“, beschreibt Leinweber eine mögliche Situation. Oder man versorge auch Patient*innen, die aufgrund ihrer Beeinträchtigungen die Technik selber nicht bedienen können und deren Angehörige dann als Co-Therapeut*innen unterstützen müssten. „Kinder zum Beispiel können wir nicht einfach nur vor den Laptop setzen, sondern wir sind hier auch angewiesen, die Eltern mit in die Therapie einzubeziehen.“
Generell gehe es nicht darum, ob die logopädische Videotherapie besser oder schlechter sei als eine Präsenztherapie: „Es geht eher um die Frage: Wie kann eine integrierte Versorgung aussehen?“, so Leinweber, „also Phasen zwischen Präsenztherapien, wie könnte hier Online-Therapie unterstützen?“ Dabei spiele immer auch die Mobilität der Patient*innen und die Therapiefrequenz eine Rolle. Denn dies sei wahrscheinlich nicht die letzte Pandemie oder Krisensituation, in der man sich damit auseinandersetzen müsse.
Anlässlich des Europäischen Tages der Logopädie am 06. März, mit dem Thema "Telepraxis und neue Ansätze in der Logopädie", sieht Prof. Dr. Leinweber hier eine gute Möglichkeit, auf das Thema aufmerksam zu machen, Fragestellungen aus der Praxis aufzugreifen und die Forschung dazu weiter auszubauen. „Wenn wir Forschungsfragen entwickeln, dann sollten diese nicht nur wir Lehrende und Forschende an den Hochschulen, sondern gemeinsam mit den Kolleg*innen aus der Praxis und natürlich auch mit den Patienten gemeinsam entwickelt werden.“
Derzeit soll aus bisherigen Videodaten der Therapiesitzungen eine Videodatenbank entstehen, die an beiden Lehrstandorten an der HAWK, Hildesheim mit der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit und dem Gesundheitscampus in Göttingen, der organisatorisch unter dem Dach der Fakultät Ingenieurwissenschaften und Gesundheit firmiert, für weitere Forschungsfragen genutzt werden kann. Beide Fakultäten haben einen gemeinsamen Antrag für eine mögliche, zukünftige teletherapeutische Versorgung in der Logopädie eingereicht und sind zum Thema Teletherapie untereinander in ganz engem Austausch: „Wir haben jetzt einmalig die Möglichkeit, in die Videotherapien und -Behandlungen reinzuschauen und dafür mögliche Fragestellungen zu entwickeln“, so Leinweber.
Aktuell liegt nur noch bis zum 30. März die Genehmigung vor, Videobehandlungen auch über Krankenkassen abrechnen zu können. Am 18. März wird der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) wieder über eine Verlängerung befristeter bundeseinheitlicher Sonderregelungen, u.a. auch zur Videobehandlung entscheiden. „Wenn es die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür nicht gibt, dann wird die Videotherapie so in der Form natürlich auch nicht stattfinden können – es sei denn, Patient*innen zahlen zukünftig diese Therapien selber,“ fasst Leinweber die aktuelle Situation zusammen. „Videotherapie sehe ich als ganz klares Element, das wir nutzen können und sollten, um die bestmögliche Patientenversorgung garantieren zu können“, so Leinweber. „Die Weichen sind gelegt. Wir fangen jetzt mit der Forschung in Deutschland an und versuchen, die Praxis einzubinden.“