Landkreis Holzminden (red). Zum 1. August 2019 sind die Leistungen für Bildung und Teilhabe durch das einen Monat vorher in Kraft getretene „Starke-Familien-Gesetzes“ verbessert worden. Das Bildungs- und Teilhabepaket soll Kindern aus Familien mit geringem Einkommen eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gesellschaft ermöglichen. Anspruch darauf haben Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, wenn sie laufende Leistungen aufgrund von Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII), Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), Kindergeld mit Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) oder Wohngeld mit Kindergeld beziehen. Im Interview erklären Sozialdezernentin Anja Krause, der Leiter des Job-Centers, Achim Keil und der Bereichsleiter für die Allgemeinen sozialen Leistungen im Landkreis, Josef Krekeler, die Änderungen.

PD: Was hat sich durch das sogenannte Starke-Familien-Gesetz beim Bildungs- und Teihabepaket alles geändert? 

Krekeler: Eine Menge. Sowohl die Leistungen als auch das Verfahren hat sich geändert. Bei den Leistungen ist insbesondere das Schulbedarfspaket zu nennen, wo es bislang jeweils zum Schulbeginn einen Pauschalbetrag von 70 Euro gab. Der ist auf 100 Euro erhöht worden. Zum Zweiten Halbjahr hat es bislang 30 Euro gegeben. Das ist erhöht worden auf 50 Euro. Insgesamt also eine Erhöhung von 100 auf 150 Euro.

PD: Schulbedarfspaket meint was?

Krause: Dabei geht es darum, Schulmaterialien kaufen zu können. Einen Schulranzen, Hefte oder Stifte…alles, was für den Schulunterricht so benötigt wird.

PD: Ok. Und was noch?

Krekeler: Eine weitere Komponente ist das gemeinsame Mittagessen in der Schule. Da waren die Eltern bislang verpflichtet einen Eigenanteil von einem Euro pro Essen zu leisten. Dieser Eigenanteil entfällt vollständig, aus dem Bildung- und Teilhabepaket wir also alles bezahlt. Ein weiterer Eigenanteil betrifft die Schülerbeförderung, also wenn Kinder mit dem Bus oder der Bahn zur Schule fahren. Bisher mussten die Eltern einen Pauschalbetrag von fünf Euro aufwenden. Auch der wird über das Bildungs- und Teilhabepaket in voller Höhe übernommen.

Krause: Im Hinblick auf die Schülerbeförderung betrifft das alle Jugendlichen ab der Sekundarstufe II. Bis Klasse 10 wurden sowieso schon die Schülerbeförderung nach dem Niedersächsischen Schulgesetz übernommen. Kinder aus einkommensschwachen Familien, die in höhere Klassen gingen, mussten das bisher immer selbst bezahlen. Das ist jetzt anders.

PD: Wie viele Kinder und Jugendliche im Landkreis Holzminden betrifft das denn?

Keil: Momentan liegt die ungefähre Anzahl derer, die im Alter zwischen 0-24 Jahren, die Arbeitslosengeld II beziehen, bei rund 1.800 Menschen. Im Alter von 18 bis 24 Jahren, das sind ja die, die für einen Besuch einer weiterführenden oder berufsbildenden Schule infrage kommen, haben wir knapp 90.

Krekeler: Im Gegensatz zu den ungefähr 1.000 Kinder, die dagegen im normalen schulpflichtigen Alter einen Anspruch haben, ist das sehr wenig.

PD: Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Keil: Für uns im Jobcenter ist wichtig, dass eine gute Bildung auch eine sehr gute Startmöglichkeit in Ausbildung und Arbeit eröffnet. Da kann das Bildungs- und Teilhabepaket einen guten Beitrag leisten. Wogegen ich mich aber wehre, ist die Annahme, dass jemand aus einer Familie mit Arbeitslosengeld II auch automatisch eine Lernförderung braucht. Das ist doch gar nicht immer der Fall. Es gibt viele Familien, die haben ein gutes Bildungsniveau, leben aber von Arbeitslosengeld II, weil das Einkommen nicht ausreicht.

PD: Ein Gutachten hat aber vor ein paar Tagen - medial stark ausgeschlachtet - behauptet, dass diese Leistungen nicht ankämen. Das Gesetz sei gescheitert.

Keil: Bei uns im Jobcenter informieren wir unsere Kunden ständig. Jeder Neukunde, der Arbeitslosengeld beantragt, bekommt Informationsmaterial und wird aktiv bei der Ausgabe der Materialien und bei der Abgabe des Antrages wieder darauf hingewiesen. In sämtlichen Beratungsgesprächen ist das immer wieder Thema. Der Kunde ist also gut informiert.

PD: Werden Ihre Informationen denn auch wahrgenommen?

Keil: Ich würde vielleicht anders antworten wollen. Die von Ihnen angesprochene Darmstädter Studie behauptet ja, dass, wenn Geld nicht abfließt, Kinder benachteiligt würden. Das ist nicht unbedingt der Fall. Wenn wir nur einmal das Beispiel der Unterstützung bei Vereinsbeiträgen nehmen. In vielen unserer Vereine ist schon in deren Satzungen festgelegt, dass solche Kinder beitragsfrei bleiben. Wenn ich Beitragsfreiheit also bereits habe, dann brauche ich sie ja nicht nochmal. Automatisch aus dem fehlenden Geldabfluss abzuleiten, dass die Kinder benachteiligt würden, ist zu kurz gesprungen.

Krause: Das Angebot des Bildungs- und Teilhabepakets ist ja vielfältig. Vereinsbeiträge, Lernförderung, Schulausstattung, Beteiligung an Klassenfahrten… Die zentrale Frage für uns bleibt aber tatsächlich: Wie kommen die Leistungen zu den Menschen? Am besten erreichen lassen sich die Kinder in der Schule. Aber im Gegensatz zu der jetzt gerade in der Politik diskutierten Grundsicherung muss das zumindest bei der Lernförderung auch beantragt werden. Und für den Weg von der Antragstellung bis zum Eingang beim Landkreis oder beim Jobcenter bedarf es dann eben noch anderer Akteure, die nachhaken. Vor allem in den Schulen.

Krekeler: Die Lernförderung ist aber die Ausnahme. Ab August müssen die Betroffenen ansonsten nur noch sagen, welche Leistungen beansprucht werden. Also eine Bedarfsanzeige machen. Einen formellen Antrag braucht es zumindest bei den Grundsicherungsempfängern beim Landkreis oder Jobcenter Holzminden nicht mehr. Es reicht beispielsweise eine Mitgliedsbescheinigung eines Sportvereins.

PD: Gibt es Ihrer Meinung noch Verbesserungsbedarf?

Keil: Verbesserungsbedarf hat man natürlich immer. Aber wir sind hier auf einem sehr guten Weg, weil das Antragsverfahren in Bezug auf die Lernförderung wirklich auf ein Minimum reduziert worden ist. Aber, was auch zu begrüßen ist: Lernförderung soll ja bei dem Kind ankommen, also muss ich da auch eine Qualität sicherstellen. In der Beziehung hat der Landkreis schon die richtigen Weichen gestellt, indem ein gewisses Mindestmaß an Qualität vorausgesetzt wird. 

Foto: Peter Drews/Landkreis Holzminden