Heinade (my). Es gibt wohl kaum eine schlimmere Vorstellung, als die Menschen zu verlieren, die wir lieben. Dennoch passiert es täglich, bei Verkehrsunfällen, auf natürliche Weise oder auch, weil sich Menschen bewusst dazu entscheiden. Stefan Melcher ist da, um in solchen schwierigen Momenten „erste Hilfe für die Seele“ zu leisten. Unsere freie Autorin Melike Yasaroglu hat den leitenden Notfallseelsorger des Kirchenkreises Holzminden-Bodenwerder auf einen Kaffee getroffen – und Gespräche über seinen Lebenswillen und den Umgang mit dem Tod geführt.
Manchmal klingelt sein Handy mitten in der Nacht. Dann steht Pastor Stefan Melcher auf, sammelt sich kurz, zieht sich an und fährt los: Zu Unfallstellen oder auch zu plötzlichen Todesfällen in Wohnungen quer im Landkreis. Seine Arbeit beginnt dann, wenn die Einsatzkräfte meistens schon fertig sind. „Wir werden dafür bezahlt, dass wir Zeit haben“, beschreibt er seine Aufgabe als Notfallseelsorger. Aber auch nach 15 Jahren verspürt er vor jedem neuen Fall Anspannung. „Ich rechne mit allem und halte alles für möglich“, erklärt er die Gedanken, die er auf dem Weg zum „Tatort“ hat.
Dort angekommen begegnet er Menschen, die beim Tod ihrer Liebsten zusehen oder vergebliche Reanimationsversuche ertragen mussten. Frauen, die ihre Männer verloren haben; Söhne, die Abschied von ihren Müttern nehmen oder Kinder, die nun Halbwaisen sind. Stefan Melcher geht routiniert vor und verschafft sich vor Ort erst einmal einen Überblick. Dabei ist er „emphatisch, aber nicht emotional“, so sagt er, „und es geht oft gar nicht darum, was wir sagen.“ Viel wichtiger ist es für ihn, die Gedanken der Angehörigen zu ordnen und diese Situation gemeinsam auszuhalten. Oft stellt er dabei simple Fragen wie „Was würden Sie denn jetzt gerne tun?“ und hilft den Menschen dann dabei, einen Bestatter zu rufen oder die Todesnachricht Verwandten zu überbringen.
Manchmal gehört es auch zu seinen Aufgaben, einfach nur mit den Menschen zu schweigen. Oder er agiert wie eine Art Puffer. Dabei wählt der Pastor sogar seinen Sitzplatz bewusst aus, denn oft setzt er sich zwischen die Leiche und die Familie. Als Notfallseelsorger hat Stefan Melcher aber vor allem eine beruhigende Funktion und die ist ihm wie auf den Leib geschneidert. In seiner Gegenwart kann man sich fast nur wohlfühlen, denn er strahlt eine behagliche Wärme aus und redet mit ruhiger, bassiger Stimme. Wenn er lacht, bebt sein ganzer Körper mit.
Der 56-Jährige ist nicht nur eine Frohnatur, sondern auch wissbegierig. Um die Arbeit der Rettungskräfte besser verstehen zu können, ist er schon im Streifenwagen der Polizei und auch beim Rettungsdienst mitgefahren. Und neben seiner Haupttätigkeit als Pastor der Kirchengemeinden Deensen-Arholzen und Heinade betreut er als Notfallseelsorger auch Einsatzkräfte. Zum Beispiel Feuerwehrleute, die bestimmte Bilder nicht mehr loswerden oder die sich als „Versager fühlen“, weil ihre Hilfe zu spät kam. Stefan Melcher ist auch selbst in der Feuerwehr Heinade tätig.
Obwohl der Tod in seinem Leben so eine bestimmende Rolle einnimmt, wirkt der Pastor unglaublich lebendig – vielleicht aber auch gerade deshalb. „Ich habe selber schon genug Scheiß erlebt“, sagt er ohne Umschweife und erzählt ganz offen von seinem Schicksalsschlag: 2006 wurde ihm eine unheilbare Krebskrankheit diagnostiziert. Drei Jahre gaben ihm die Ärzte rein statistisch noch zu leben. „Dann geht es eben früher in die Kiste“, erinnert er sich an seine Gedanken von damals. „Heute bin ich statistisch tot, aber quicklebendig“, sagt Stefan Melcher und lacht dabei wieder so herzhaft, dass man einfach mitlachen muss.
Interessante Menschen, spannende Hobbies oder auch ein Blick hinter die Kulissen – unsere neue Reihe „Auf einen Kaffee mit…“ erscheint zweimal im Monat und macht Platz für Gespräche. Jeden zweiten Sonntag lesen Sie einen neuen Bericht unserer freien Autorin Melike Yasaroglu. Wir sind aber auch auf Ihre Vorschläge gespannt! Senden Sie uns einfach eine Mail an