Holzminden/Northeim (red). Das Spannungsfeld zwischen zukünftigen Anforderungen zum Klimaschutz und den Auswirkungen der Corona- und Ukraine-Krisen auf den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) standen im Mittelpunkt eines Fachseminars des Zweckverbands Verkehrsverbund Süd-Niedersachsen (ZVSN) im Tagungshaus „Alte Mensa“ am 06.07.22 in Göttingen.

Um das Ziel des Klimapakts der Bundesregierung, bis zum Jahr 2030 eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen im ÖPNV zu erreichen, gibt es zahlreiche Herausforderungen für die Mobilitätsbranche: Drastische Fahrgast-Rückgänge durch die Corona-Pandemie auf bis zu 20% im Jahr 2020 sorgten für erhebliche Einnahmeausfälle. Die Verkehrsunternehmen müssen jetzt außerdem drastische Steigerungen der Treibstoffkosten als Auswirkungen des Ukraine-Krieges auffangen. Zusätzlich kommt die ÖPNV-Branche durch die vorübergehende Einführung des 9-Euro-Tickets an ihre finanziellen und personellen Grenzen.

Göttingens Erste Kreisrätin Doreen Fragel berichtete als Vorsitzende der ZVSN-Verbandsversammlung dem Publikum über zahlreiche potentielle Projekte, die angesichts der steigenden Kosten und zusätzlicher Aufgaben derzeit nur schwer zu realisieren seien. Klar ist, dass Süd-Niedersachsen gegenüber Bund und Land Vorstellungen artikuliert, in denen die Erhöhung der finanziellen Mittel für den Nahverkehr eine Voraussetzung sein muss. Ansonsten könnten die erforderlichen Klimaziele nicht realisiert werden.

Dr. Christoph Wilk, Abteilungsleiter Verkehr aus dem Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung stellte die aktuelle Diskussionen zwischen Bund und den Ländern zur künftigen Finanzierung des Nahverkehrs dar. Zwar habe der Bund kurzfristig 2,5 Milliarden Euro für das 9-Euro-Ticket zur Verfügung gestellt. Allerdings seien bundesweit rund drei Milliarden Euro pro Jahr an Zusatzkosten aufzubringen, um den Status Quo im ÖPNV angesichts der Kostensteigerungen zu halten. Der Bund habe diese drei Milliarden Euro jedoch noch nicht zugesagt.

Fritz Rössig, Abteilungsleiter Regionalverkehr beim Regionalverband Großraum Braunschweig, stellte mit „Flexo“ ein neues On Demand-Angebot integriert in den ÖPNV vor. Derzeit sind bereits acht Projekte im Bereich des Regionalverbandes umgesetzt, die künftig eine wichtige Funktion im Rahmen der Verkehrswende darstellen sollen.

Stephan Börger, Bereichsleiter Mobilitätsmanagement bei der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen mbH (LNVG) plädierte für die Verknüpfung der unterschiedlichen Verkehrsträger sowie für den Ausbau des kommunalen Mobilitätsmamagents. Eine engere Zusammenarbeit der derzeit insgesamt 37 ÖPNV-Aufgabenträger in Niedersachsen könne helfen, übergreifende Mobilitätskonzepte in die Umsetzung zu bringen.

Über die Möglichkeiten umweltschonender Antriebe über die „Clean Vehicle Directive“ (CVD) der EU umzusetzen konnte Michael Neugebauer, Vorsitzender des Vorstands der VDV-Landesgruppe Niedersachsen/Bremen und Geschäftsführer der Göttinger Verkehrsbetriebe (GÖVB) aus eigener Erfahrung berichten. Die GÖVB hat in der Stadt Göttingen bereits einige Elektrobusse für den Stadtverkehr Göttingen im Einsatz.

Über den seit einigen Monaten bestehenden ZVSN-Fahrgastbeirat referierte Gerd Aschoff, der aus mehreren Organisationen als Sprecher gewählt wurde. Aschoff betonte, dass nach vielen Jahren ohne Fahrgastvertretung nun wieder eine konstruktive Interessenvertretung besteht. Derzeit erarbeitet der Fahrgastbeirat eine Themensammlung, mit denen sich das Gremium in der nächsten Zeit befassen wird.

Einen Einblick in den Alltag eines ÖPNV-Aufgabenträgers gab der ZVSN-Verbandsgeschäftsführer Michael Frömming. Die in den letzten Jahren erfolgten neuen Verkehrs- und Tarifangebote sowie deren intensive Vermarktung hätten den ÖPNV einen positiven Schub gegeben. Angesichts der aktuellen äußeren Entwicklungen stehe der ZVSN nun jedoch – wie alle ÖPNV-Aufgabenträger in Deutschland – vor erheblichen Herausforderungen. Zusätzliche und nicht kalkulierte Kosten in Höhe von 500.000 Euro jährlich entstehen im Bereich des ZVSN zudem durch das Schüler- und Azubi-Ticket. Das Land Niedersachsen hatte dieses von allen Seiten positiv bewertete Angebot im Dezember 2021 zwar im Landtag beschlossen, die 37 zuständigen Aufgabenträger müssen jedoch teilweise erhebliche ungeplante Eigenanteile zur Umsetzung der nunmehr regional gültigen Angebote aufbringen. Sollten Bund und Land sich nicht zu einer Erhöhung der finanziellen Mittel – hier insbesondere der Regionalisierungsmittel -  bekennen, so stehen spätestens an Dezember 2022 auch in Südniedersachsen Kürzungen im Verkehrsangebot auf der Agenda. Der barrierefreie Ausbau der Bushaltestellen sei bereits jetzt zum Teil ausgesetzt worden.

In einer folgenden Podiumsdiskussion – geleitet von HNA-Journalist Bernd Schlegel - sprachen Jan-Christopher Linck, Dezernent für Kreisentwicklung, Landkreis Northeim, Doreen Fragel, Erste Kreisrätin, Landkreis Göttingen, Ralf Buberti, Kreisbaurat Landkreis Holzminden, Petra Broistedt, Oberbürgermeisterin Stadt Göttingen und Michael Frömming, ZVSN-Verbandsgeschäftsführer, über die Perspektiven des ÖPNV. Hierbei standen verschiedene aktuelle Themen wie weitere Vorstellungen zur Umsetzung der Verkehrswende, die Anbindung zur Landesgartenschau in Bad Gandersheim 2023, die Ilmebahn-Reaktivierung zum PS-Speicher, On Demand-Verkehre in den ländlichen Regionen, Parkraummanagement und die noch engere Abstimmung zwischen den ÖPNV-Aufgabenträgern sowohl in der Region als auch landesweit im Mittelpunkt. Alle Beteiligten bekräftigte ihren Wunsch, die Umsetzung eines besseren ÖPNV-Angebotes sowie die Abstimmung mit weiteren umweltfreundlichen Verkehrsträgern voranzutreiben.

Die Vorträge der öffentlichen Veranstaltung über die Zukunft des ÖPNV in Süd-Niedersachsen sind zum Nachlesen auf www.zvsn.de veröffentlicht.

Foto: ZVSN