Landkreis Holzminden/Hannover (red). Kaum eine Kultur steht so sinnbildlich für Niedersachsen wie die Kartoffel. Auf über 140.000 Hektar prägt sie das Landschaftsbild, sichert Einkommen und Wertschöpfung – doch in diesem Jahr ist der Stolz der Ackerbauern zur Belastung geworden. Die Preise sind im Keller, der Markt überfüllt und das Wetter erschwert die Ernte zusätzlich.
„Wer die Kartoffeln jetzt noch nicht gerodet hat, der muss sich beeilen“, sagt Thorsten Riggert, Vorsitzender des Pflanzenausschusses im Landvolk Niedersachsen. „Die aktuellen Wetterbedingungen machen es unmöglich, noch groß etwas reinzuholen.“ Zwar läuft die Ernte von Verarbeitungs- und Stärkekartoffeln offiziell noch bis Ende November, doch der anhaltende Regen macht den Landwirten schwer zu schaffen. „Sobald es aufhört, muss sofort rausgefahren werden“, so Riggert.
Hohe Ernte, niedrige Preise
Dass es überhaupt so eng geworden ist, liegt auch am Erfolg der vergangenen Jahre. Aufgrund der guten Preise 2023 sind viele Ackerbauern auf die Kartoffel umgestiegen – zu viele, wie sich nun zeigt. „Insgesamt wurden in Deutschland mehr als 13 Millionen Tonnen Kartoffeln geerntet – zehn Millionen hätten eigentlich gereicht“, erklärt Riggert.
Niedersachsen allein verzeichnete einen Flächenzuwachs von 7,5 Prozent. Der Überschuss kommt also vor allem aus dem Norden, und die gute Ernte sorgte für einen Preisverfall. „Der Markt ist sofort bedient worden, keiner lagert mehr ein. Manche fahren die Kartoffeln lieber in die Biogasanlage oder verfüttern sie an Rinder.“
Auch wenn der Lebensmitteleinzelhandel derzeit mit Aktionen rund um die Kartoffel versucht, den Absatz zu fördern, wäre laut Riggert ein Rückgang des Anbaus im kommenden Jahr sinnvoll. Doch Alternativen fehlen: „Getreidepreise sind im Keller, die Zuckerrübe wird unattraktiver. Da blieb vielen nur die Kartoffel. Jeder hat dieses Jahr für sich richtig entschieden – aber in der Masse war es dann einfach zu viel.“
Schädling bedroht Kartoffeln und Zuckerrüben
Neben der Marktlage bereitet die Schilfglasflügelzikade zunehmend Sorgen. Der Schädling bedroht Kartoffeln und Zuckerrüben – und wirksame Gegenmaßnahmen fehlen. „Es gibt Mittel, die in den USA längst zugelassen sind, nur Europa spielt nicht mit“, kritisiert Riggert.
Die Vorschläge der Landwirtschaftsministerin – etwa Netze zu spannen oder Schwarzbracheflächen anzulegen – hält er für unrealistisch: „Wenn wir das machen, müssten wir bei mir im Landkreis alles einhüllen: Zwiebeln, Kartoffeln, Möhren – das ist absurd.“
Riggert fordert deshalb Übergangslösungen mit Neonikotinoiden, um die Ausbreitung der Zikade zu stoppen. „Wir brauchen eine Beizung, um die Winterwirte auszumerzen. Wenn wir jetzt nichts tun, verlieren wir ganze Ernten.“ Die Zikade richte erheblichen Schaden an, ohne dass man ihn sofort sehe: „Erst wenn man Gummikartoffeln in der Hand hält, ist es zu spät.“
Appell an Politik und Wirtschaft
Besonders unverständlich ist für Riggert das Schweigen aus dem nachgelagerten Bereich bei den bisher nicht betroffenen Feldfrüchten. „Wenn die Ministerin ernsthaft meint, wir sollten auf Schwarzbrache in ganzen Landkreisen setzen, müsste ein Aufschrei von der gesamten Verarbeitungs- und Handelsbranche kommen. Schließlich wären davon dann alle Feldfrüchte – also auch Getreide, Raps oder Mais – betroffen. Zudem hängen viele Arbeitsplätze, Lieferketten und Wertschöpfung an dieser Knolle.“
Für Riggert steht fest: „Wir dürfen uns das nicht gefallen lassen. Niedersachsen lebt von der Kartoffel – als Kultur, als Wirtschaftsfaktor, als Teil seiner Identität. Wenn die Politik uns weiter die Hände bindet, gefährden wir eine der wichtigsten Wertschöpfungsketten im Land.“