Holzminden/Bielefeld (haa). Mit Vorfreude zum nächsten Spiel der Arminen – wieder Stadionluft auf der „Alm“ schnuppern. Zwischen den Rängen herrscht eine stimmungsvolle Atmosphäre – Gesänge, Trommeln, das rhythmische Klatschen der Fans und die Freudenschreie beim Tor des eigenen Vereins.
In der Luft liegt der Geruch von Bratwurst und Bier, der Stoff des Fanschals fühlt sich auf der Haut an. All das sind Sinneswahrnehmungen, die die meisten Zuschauer besonders reizen. Dies gilt auch für sehbehinderte Fans – mit dem Unterschied, dass ihre Augen das Spiel nicht verfolgen können. Die ehrenamtlichen Reporter des Fanradios von Arminia Bielefeld nehmen sich dieser Herausforderung an und leihen den blinden Fans ihre Augen.
Während des Spiels tragen die sehbeeinträchtigten Fans Kopfhörer. Zu hören sind zwei Blindenreporter, die das Spielgeschehen bildhaft beschreiben: Von welcher Seite wird der Eckball gespielt? Wie kam der Ball auf das Tor? Von welcher Position und aus welcher Entfernung schießt der Spieler? Wo auf dem Feld passen sich die Spieler gerade den Ball zu? Diese Fragen werden in der Blindenreportage beantwortet. So soll den blinden Fans ermöglicht werden, das Spiel auch zu „sehen“ und ihre Vorstellungskraft anzuregen. Das funktioniert mit einer lebhaften und detaillierten Berichterstattung.
Ich bin Sophia Haasper, Redaktionspraktikantin bei Weser-Ith-News, und seit Dezember Teil der Blindenreportage von Arminia Bielefeld. Ehrenamtlich kommentiere ich die Spiele für sehbeeinträchtigte Fans – live im Stadion, mit voller Konzentration auf das Spielgeschehen. Schon einige Male stand ich auf der Pressetribüne, Kopfhörer auf, bereit, das Spiel mit meinen Worten greifbar zu machen.
Im Folgenden erzähle ich, wie ich die Blindenreportage erlebe, wie sie funktioniert und was sie für die blinden Zuhörer und mich bedeutet. Mit dem technischen Equipment machen sich mein Kollege und ich auf den Weg zur Pressetribüne. Dort angekommen, bauen wir das Sprecherpult auf und prüfen unsere Sicht auf das Spielfeld. Die Frage, aus welchem Blickwinkel die Blindenreporter berichten, ist für die Einordnung der sehbeeinträchtigten Fans von großer Bedeutung. Mir ist meine Verantwortung bewusst: Wir sind ein wichtiger Bestandteil eines positiven Stadionbesuchs.
Ich weiß, wenn ich schweige, sehen die Fans nichts. Vor ihren Augen ist lediglich ein schwarzes Bild – kein Fußballfeld, keine Spieler, kein Ball. Es mag komisch klingen, aber wenn ich keine Bilder in ihren Köpfen erzeuge, mache ich die blinden Fans erneut blind. Dementsprechend ist der Druck groß, die Spielszenen genau zu beschreiben und zu verorten. Doch genauso groß ist auch die Freude an dem Gefühl, zu einem vollständigen Stadionerlebnis beizutragen. An den Tagen vor dem Spiel bereite ich mich auf die Begegnung der beiden Mannschaften vor. Der Fokus liegt dabei auf dem kommenden Gegner und dessen aktueller Verfassung. Ich gehe den gesamten Kader durch und versuche, mir die Trikotnummern der Spieler einzuprägen.
Am Vortag höre ich mir die Pressekonferenz an und nehme die Stimmen der beiden Trainer auf – was sie von ihrer Mannschaft erwarten und worauf es ankommt. Dies erfordert Zeit, die meine männlichen Kollegen und ich uns neben den alltäglichen Aufgaben nehmen müssen. Die Blindenreporter von Arminia begleiten nicht nur die Heimspiele, sondern auch jedes Auswärtsspiel, um live vor Ort zu berichten. Dafür war ich bereits in Sandhausen und München tätig. Das bedeutet für das Team der Behindertenbetreuung, dass es mehrere Stunden pro Wochenende unterwegs ist.
Ist ein Spiel auf einen Freitagabend terminiert, kann dies durchaus herausfordernd sein. Daher planen wir weit im Voraus, wer wann Zeit hat und welches Spiel reportiert. Auf diese Weise können wir uns aufeinander abstimmen und uns auf unsere Einsätze ausreichend vorbereiten. Meistens werden uns eine halbe Stunde vor dem Anpfiff die Listen mit der Startaufstellung und dem Kader überreicht. Die Betonung liegt auf „meistens“, denn es kann auch passieren, dass dies nicht geschieht. Dann müssen wir die Aufstellungen und die Trikotnummern des Gegners selbst recherchieren, falls dies im Vorfeld noch nicht geschehen ist.
Ich merke, wie meine Aufregung steigt, kann es aber gleichzeitig kaum erwarten, dass es losgeht. Zehn Minuten vor Spielbeginn startet die Live-Übertragung des Fanradios. Wir setzen uns die Headsets auf und begrüßen die zuhörenden Fans.
Zu Beginn wird die bisherige Leistung des Vereins und die Bedeutung des kommenden Spiels eingeordnet. Mit welcher Taktik möchte der Trainer spielen? Für welche Startelf entscheidet er sich? Wie steht es um die gegnerische Mannschaft? Welche Tabellenplätze treffen aufeinander? Gibt es verletzte oder gesperrte Spieler? Was für ein Spiel dürfen die Fans erwarten? All diese Fragen werden in den ersten zehn Minuten beantwortet.
Ein Beispiel für eine Beschreibung des fortlaufenden Geschehens: „Auf der gegenüberliegenden Tribüne werden große Fahnen in den Vereinsfarben Schwarz, Weiß, Blau geschwungen. Eine Choreografie unterstreicht die feurige Stimmung im Stadion. Nun kommen die Spieler eingelaufen, an der Hand die Ballkinder. Die Arminen heute in weißen Hosen und blauen Trikots. Torwart Jonas Kersken wie erwartet in grellem Gelb. Die Kapitäne der beiden Teams sammeln sich beim Schiedsrichter, es folgt der Münzwurf zur Seitenwahl. Arminia gewinnt, spielt also von links nach rechts in Richtung der singenden Fankurve. Die Spieler stehen nun auf ihren Positionen, die gegnerische Mannschaft hat Anstoß und wartet auf den Pfiff des Schiedsrichters. Anpfiff! Das Spiel beginnt.“
Die Blindenreportage bedeutet mehr als nur Fußball – es geht um Inklusion und das Überwinden eigener Benachteiligungen. Viele Menschen wissen nicht, dass es diese Art der Berichterstattung gibt. Dabei gibt es in der ersten, zweiten und dritten Liga viele Vereine mit einer Blindenreportage. Bei einigen, wie auch bei Arminia Bielefeld, ist diese mit dem Fanradio verknüpft und somit für alle zugänglich. Hier können auch Menschen ohne Sehbeeinträchtigung zuhören und sich das Spiel von waschechten Vereinsfans kommentieren lassen. Ich kann jedem nur empfehlen, beim eigenen Verein nachzuschauen und in die Live-Übertragung hereinzuhören. Damit könnt ihr der Arbeit der Reporter Wertschätzung entgegenbringen und einen Eindruck inklusiver Sportberichterstattung gewinnen.
Fotos: haa