Holzminden (lbr). Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft reichten sich am Samstagabend die Hand. Im Lichthof der HAWK fand eine Gedenkveranstaltung anlässlich der Reichspogromnacht, die am 9. November 1938 stattfand, statt. Landrat Michael Schünemann eröffnete die Veranstaltung und erklärte, dass man mit dieser Veranstaltung an die schaurigen Ereignisse erinnern und den zahlreichen Opfern gedenken möchte: „Lassen Sie uns Gleichgültigkeit und Menschenverachtung die Stirn bieten. Lassen Sie uns gemeinsam für Toleranz eintreten. Wir müssen täglich Zeichen gegen Antisemitismus, Diskriminierung und Verfolgung setzen. Besonders in diesen Zeiten.“
Marlies Linnemann, Vorsitzende des Heimat- und Geschichtsvereins des Landkreises, betonte die Einzigartigkeit der Veranstaltung: „Es ist eine ganz besondere Veranstaltung“, sagte sie. Im Zentrum stand die Uraufführung musikalischer Stücke aus dem Buch „Klänge auf stillen Wegen“ von Dr. Jean Goldenbaum, der Gedichte des jüdischen Schriftstellers Gerson Stern vertonte. Stern, 1874 in Holzminden geboren, floh 1939 vor den Nationalsozialisten nach Israel und verstarb 1956 in Jerusalem. In diesem Jahr wurde der Vater von Dr. Jean Goldenbaum ebenfalls in Jerusalem geboren. Diese Verbindung ließ den jüdischen Künstler aus Holzminden nicht mehr los und inspirierte ihn, Musik zu bisher unveröffentlichten Gedichten von Gerson Stern zu schreiben. Die Sammlung, die sieben vertonte Gedichte umfasst, erschien nun zusammen mit 30 weiteren Gedichten Sterns im Verlag Jörg Mitzkat und ist ab heute im Handel erhältlich.
Sopranistin Juliane Dennert und Pianist Maxim Böckelmann trugen die sieben vertonten Gedichte am Samstagabend erstmals vor. Marlies Linnemann beschrieb die Darbietung als eine „Wiederauferstehung jüdischen, kulturellen Lebens in Holzminden“.
Anschließend gab es einen interreligiöser Beitrag von Dr. Jean Goldenbaum, Superintendentin Christiane Nadjé-Wirth und Ümüt Bayer von der Türkisch-Islamischen Gemeinde in Holzminden. Sie setzten gemeinsam ein Zeichen für Frieden und gegen Antisemitismus sowie Diskriminierung, indem sie Texte aus der Hebräischen Bibel, der Christlichen Bibel und dem Koran vortrugen.
Im Anschluss fand ein Schweigemarsch zum ehemaligen Standort der Synagoge am Katzenstein statt. Dort wurde ein Kranz niedergelegt und die rund 250 Besucher der Gedenkfeier stellten Kerzen dazu. Bürgermeister Christian Belke zitierte die Worte von Gerson Stern: „Alles Ruhende ist Wandeln. Alles Währende ist Handeln. Niedersinken wird Erheben und Vergehen wird zum Leben.“ Abschließend sagte er: „Es gibt Hoffnung und Zuversicht für die Zukunft, so viele auch junge Menschen hier zu sehen“, und bedankte sich bei allen Beteiligten.
Fotos: lbr