Holzminden (zir). Jedes Jahr im November ereignet sich der Buß- und Bettag als Feiertag der evangelischen Kirche. Jener Tag dient dazu, sich daran zu erinnern, dass das Scheitern zum Leben gehört. Außerdem dient der Buß- und Bettag als ein Zeitpunkt, über seine Werte und Ideale nachzudenken, sein Miteinander mit anderen Lebewesen zu überdenken und sich klarzumachen, zu welchem Verhältnis man zu Gott steht.
In der Lutherkirche in Holzminden versammelten sich hierfür am 22. November rund 50 Besucher, um diesen Feiertag zu begehen. Traditionell spricht ein Holzmindener Bürger am Buß- und Bettag in der Luthergemeinde von der Kanzel zur Gemeinde. Redner in diesem Jahr war Ümüt Bayer, Vorsitzender der Türkisch-Islamischen Gemeinde in Holzminden. „Ich freue mich sehr, dass mit Ümüt Bayer erstmalig ein Bürger mit muslimischen Wurzeln auf der Bürger-Kanzel stand. Es verbindet uns, auch im Glauben, viel mehr, als das uns trennt“, so Benjamin Beineke, Vorsitzender der Luthergemeinde. „Gerade in diesen Zeiten, ist es wichtiger denn je, hier Zeichen zu setzen und die Menschen zusammen zu führen und Vorurteile abzubauen“, führte Beineke fort.
Ümüt Bayer ging in seiner Rede zunächst auf seine Lebensgeschichte ein. Geboren in Hannover, sieht er sich selbst als Holzmindener. Er besuchte die Grundschule an der Karlstraße und anschließend die Orientierungsstufe, bei der er anfing, den kulturellen Unterschied zu seinen Mitschülern zu bemerken. Einhergehend damit, begann er auch immer mehr sich mit seiner Religion auseinanderzusetzen. Nach der Schule bildete sich Bayer zum Chemikanten aus, wurde zum Industriemeister in der Chemie und anschließend zum technischen Betriebswirt. In der Zwischenzeit heirate er und bekam zwei Söhne im Alter von zehn und sechs Jahren.
In all den Jahren bemerkte Bayer vor allem, dass der Islamismus für viele christliche Bürger unbekannt ist. „Vielleicht ist es eine Distanz vor dem Unbekannten, die man instinktiv aufbaut, vielleicht aber auch die sprachliche Barriere, die vor einigen Jahren normal war“, so Bayer. Jetzt aber müsse man den direkten Dialog aufsuchen und die Meinungen der Medien möglichst meiden.
Eine Gemeinsamkeit zwischen beiden Religionen sieht Bayer u.a. im Gewissen. „Das Gewissen ist die göttliche Stimme, die unsere Handlungen nach moralischen Maßstäben überwacht und uns Freude empfinden lässt, wenn wir Gutes tun und Schmerz, wenn wir Übles tun“, führt Bayer aus. Gewissen ist etwas, das von der jeweiligen kulturellen und sozialen Umgebung geformt wird. Wer von schlechten Werten Einfluss nimmt, der unterdrückt sein Gewissen nach und nach. Gewissenslos wird man jedoch nicht.
Eines der Grundrechte ist auch der Schutz der Religion. „Wir sind gegen jede Art von Unterdrückung und Gewalt gegen Menschen und heilige Stätten, die Menschen daran hindern, frei zu leben; unabhängig von ihrem Glauben und ihrer ethnischen Herkunft sind die Unterdrückten und Hilflosen unser Anliegen“, appelliert Bayer. Deshalb ist auch der jüngste Gewaltausbruch etwas, das jeden gewissenhaften Bürger berührt hat. Terror hat nämlich in keiner Religion ein Zuhause.
Nach der Rede versammelten sich die Besucher:innen zu einem kleinen Snack und Getränken. Bei angeregten Gesprächen ließ man den Abend ausklingen.
Fotos: Beineke