Stadtoldendorf (rus). Jedes Jahr werden in der Region am Nordsolling zwischen Anfang Mai und Ende Juni zahlreiche Rehkitze geboren. Als Liegeplatz für das Rehkitz bevorzugt die Mutter Wiesen mit hohem Bewuchs. Natürlich werden dabei auch oft bewachsene Felder ausgewählt, was für die Jungtiere allerdings eine potenzielle Gefahr darstellt: Beginnt der Landwirt mit dem Ernte- und Mähvorgang, kann er das Rehkitz vorher nicht sehen – aufgrund der Größe ist es schier unmöglich, das gesamte Feld vorher zu kontrollieren. Genau hier möchte nun der neu gegründete Verein Rehkitzrettung Nordsolling e.V. unterstützen und die Rehkitze auf moderne Art und Weise, nämlich mittels einer professionellen Drohne, vorher retten. Der Verein verfügt dazu über eigens für diesen Zweck ausgestattete Drohnen mit hochsensiblen Wärmebildkameras, die in der Lage sind, auf Grund der vom Tier abgegeben Körperwärme Rehkitze (und andere Tiere) im hohen Gras aufzuspüren.
Da junge Rehkitze noch geruchsarm sind, können sie vom Raubwild nicht durch den Geruch aufgespürt werden. Die Mutter sucht den Liegeplatz ihres Jungen nur zum Säugen auf, um Feinde nicht zum hilflosen Kitz zu führen. Nach jedem Säugen wird das Rehkitz von der Mutter zu einem neuen Liegeplatz geführt. Mehrere Rehkitze legen sich an unterschiedlichen Stellen ab, je älter sie werden, umso mehr rücken sie zusammen. Nähert sich Gefahr, drückt sich das Kitz fest und regungslos auf den Boden. So versucht es, Raubtieren zu entgehen. Der sogenannte Drückinstinkt ist in den ersten zwei Lebenswochen besonders ausgeprägt – und zur Ernte- und Mähzeit gefährlich für das Tier. Diese vermeintliche Notlage ist also tatsächlich ein Instinkt, um Beutegreifern zu entgehen. Dieses Verhalten der Tiere ist für Landwirte und Jagdpächter jedes Jahr erneut ein Problem, da die Kitze Gefahr laufen, den Maschinen, die zur Grasmahd eingesetzt werden, zum Opfer zu fallen.
Zukünftig kann hier auf die Unterstützung der Rehkitzrettung Nordsolling e.V. zurückgegriffen werden. „Wir hoffen, dass viele Landwirte unser Angebot annehmen und sich bei uns melden“, erklärt die Tierärztin Astrid Möller-Trautmann aus Stadtoldendorf. Gemeinsam mit ihrem Team des Vereins will sie dann, ausgestattet mit modernen Drohnen, früh morgens die Felder befliegen, um nach versteckten Tieren zu suchen. Für Landwirte soll dieser Service vollkommen kostenfrei sein, die Mitglieder des Vereins arbeiten ehrenamtlich und wollen sich die Flugzeiten aufteilen. Die Einsätze sowie das nötige aufwendige technische Equipment werden dabei ausschließlich über freiwillige Spenden und Mitgliederbeiträge finanziert, auch eine finanzielle Unterstützung der VR-Bank in Südniedersachsen hat es gegeben. „Eine frühe Kontaktaufnahme oder Interessenbekundungen ist erwünscht, ggf. auch noch im Jahr 2021, da dies die Planung der Saison 2022 erleichtert“, rät die Tierärztin.
Eine Fernsehreportage war ursprünglich die Initialzündung für Astrid Möller-Trautmann, die in Stadtoldendorf ihre Tierarztpraxis betreibt. Zwar habe sie noch nie ein verletztes Rehkitz behandeln müssen, die Gefahr ist aber auch hier groß, insbesondere in der ländlichen Region. „Bislang verfüge nur ich über einen Drohnenführerschein“, erklärt Möller-Trautmann, es stehen aber bereits weitere Drohnenpiloten in den Startlöchern und auch weitere Drohnen sollen in der Zukunft angeschafft werden. Mit der Technik wird so gewährleistet, dass bis zu drei Stunden lang geflogen werden kann. Je nach Witterung und Außentemperatur, die Auswirkungen auf die Akkulaufzeit haben, sollen dann die Rehkitze anhand ihrer Wärmesignatur aufgespürt werden können. „Die Kamera der Drohne arbeitet mit Infrarot und macht unterschiedliche Temperaturen in der Fläche sichtbar“, erklären die Vereinsmitglieder. So kann ein Rehkitz beim Überfliegen eines Feldes auch in hohem Bewuchs festgestellt werden. „Ist ein Rehkitz entdeckt, wird die Drohne auf der Stelle schweben und wir beginnen mit der Rettung“, erklärt die Tierärztin. Ein Team, bestehend aus Jagdpächter, Landwirt und ggf. zusätzlichen Helfern, verbringen nach dem Fund unter Vermeidung von Geruchsübertragung das Kitz an einen sicheren Ort in unmittelbarer Nähe, an dem es die Mutter nach Verständigung über Rufe auffinden und wieder annehmen kann.
Die Rehkitzrettung Nordsolling e.V. ist ein als gemeinnützig anerkannter Verein. Die Unterstützung des Vereins wird ab der Saison 2022 zunächst in der Region Stadtoldendorf und Bevern von den ehrenamtlichen kostenlos zur Verfügung gestellt. Landwirte, Jagdpächter und interessierte aktive oder passive Unterstützer können über die Homepage www.nordsollingreh.de Kontakt mit den Rehkitzrettern aufnehmen.
Text/Fotos: rus