Delligsen (red). Vor Jahrmillionen wurden mächtige Sedimentablagerungen zu Kalkgestein. Im Delligser Steinbruch wurde von etwa 1910 bis1953 ein besonders reiner Kalk des oberen Jura abgebaut, der unter anderem für Baumaterial und zum Düngen verwendet wurde.
Nach Aufgabe der Abbautätigkeit entwickelte sich der Steinbruch im Laufe der folgenden Jahre zu einem wertvollen Ersatzlebensraum für eine außergewöhnliche, arten- und individuenreiche Tier- und Pflanzenwelt, insbesondere für Lebensgemeinschaften der Kalk-Halbtrockenrasen und Felssteilwände.
1989 wurde der Delligser Steinbruch als Naturschutzgebiet ausgewiesen.
Für einige typische Arten der Kalk-Halbtrockenrasen ist der Delligser Steinbruch eines der letzten Rückzugsgebiete Norddeutschlands.
Die besondere Gefährdung dieses Biotops wird durch ein ganzjähriges Betretungsverbot hervorgehoben. Das Betreten des NSG ist nur mit Genehmigung der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Holzminden erlaubt.
Um die wertvollen Lebensgemeinschaften im NSG erhalten und entwickeln zu können, sind regelmäßige Pflegemaßnahmen notwendig. Diese werden seit über 30 Jahren von der „Biologischen Schutzgemeinschaft Lenne-Weser-Leine“ (BSL) im Rahmen ihrer Möglichkeiten und in Absprache mit der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Holzminden durchgeführt.
Ein ungeahntes Artensterben findet auch vor unserer Haustür statt.
Nach Langzeituntersuchungen Krefelder Entomologen von 1989 bis 2016 sind in den vergangenen 30 Jahren selbst in 63 Schutzgebieten bis zu 76% der Biomasse flugfähiger Insekten verloren gegangen.
Deshalb müssen Ersatzlebensräume gesichert und weiterentwickelt werden. Laub-, Gras- und Busch-Entfernung helfen, dieses Biotop, und damit viele gefährdete Arten zu bewahren. Unterstützer bei der Pflege und Bestandsaufnahme sind herzlich willkommen. Auch ohne Fachkenntnisse können sich interessierte Bürger einbringen und damit persönlich einen wichtigen Beitrag zum Natur- und Artenschutz leisten.
Beispiel Wildbienen und andere Insekten im NSG „Delligser Steinbruch“
Beim ersten Anblick wirken Steinbrüche oftmals schroff, abweisend und negativ auf uns. Dabei sind sie in unserer, immer mehr verarmenden Landschaft als Ersatzlebensräume von sehr großer Bedeutung. So wurden in 24 Kalksteinbrüchen in Süd-Niedersachsen 123 Bienenarten nachgewiesen. Und obwohl der Delligser Steinbruch insektenkundlich noch lange nicht abschließend untersucht worden ist, wurden auch hier bereits 54 Bienen-, 35 Wespen- und Ameisen-Arten und 35 Schwebfliegen-Arten festgestellt.
Der Delligser Steinbruch beherbergt zahlreiche Pflanzen, die einer Vielzahl von immer seltener werdenden Insektenarten als Nahrungsgrundlage dienen. Bei vielen dieser Pflanzen handelt es sich mehr oder weniger "gewöhnliche" Pflanzen, die unglaublich viele Insekten ernähren. Zu den wichtigen Lebensgrundlagen für Insekten gehört im NSG „Delligser Steinbruch“ auch das kleinräumige Nebeneinander unterschiedlichster Standortbedingungen, wie vielfältige Nahrungs- und Nistangebote, und auch der Standortvorteil für Wärme liebende Arten. So nutzen hier übers Jahr verteilt zahlreiche z. T. seltene und gefährdete Schmetterlinge, Käfer, Schwebfliegen und Bienen das Blütenangebot von Weiden-Arten, Glockenblumen, Gundermann, Hornklee, Gewöhnlichem Natternkopf, Wegwarte, Dorniger Hauhechel, Wilder Möhre, Flockenblumen, Disteln, Habichtskräutern, Scharfem Mauerpfeffer, Platterbsen, Rainfarn, Goldrute u.v.a.m. Es sind überwiegend Pflanzen, die früher überall auf Wiesen und an Wegrainen zu finden waren.
Da es im Steinbruch nur wenige Stellen mit tiefgründigen lockeren Böden gibt, sind Arten, die im Boden brüten, nur an wenigen Stellen anzutreffen. Deshalb gehören viele Arten zur oberirdisch nistenden Gilde, die sich überwiegend aus der Gruppe der Bauchsammlerbienen und einigen Grabwespen zusammensetzt. Von einigen dieser Bienen- und Wespenarten werden hohle Pflanzenstängel oder Käferbohrlöcher in Totholz für die Nestanlage genutzt. Andere dagegen nutzen Felsspalten oder Hohlräume im Geröll. Für einige hier lebende Bienenarten ist z. B. das Vorkommen von leeren Schneckengehäusen ausschlaggebend, weil diese speziellen Bienen nur darin nisten.
Unterhalb des Steinbruchs liegt die zum NSG gehörende Halde, die eine Reihe von anderen Arten beherbergt. An den Mergelhängen nisten große Kolonien von Schmalbienen und die Wegwarten-Hosenbiene. Auf dem Haldenboden fliegt u.a. regelmäßig die Natternkopf-Mauerbiene. Während diese Nahrungsspezialistin im Süden Niedersachsens noch verbreitet vorkommt, ist sie Flachland nur noch ganz selten anzutreffen. Sie kann ihre Brut nur mit dem Pollen und Nektar ihrer speziellen Futterpflanze versorgen. Verschwindet der Natternkopf großflächig, erlischt dort auch das Vorkommen dieser Bienenart!
Die seltene Glockenblumen-Schmalbiene ist ebenfalls eine Nahrungsspezialistin. Diese Bienenart ernährt ihre Brut ausschließlich mit den Pollen von Glockenblumen. An der Haldensohle des NSG sammelte diese Biene an den Blüten der Rundblättrigen Glockenblume. Bisher waren in den vergangenen 80 Jahren nur drei weitere Vorkommen dieser in Niedersachsen gefährdeten Art bekannt geworden.
Überraschend war im Spätsommer 2019 u. a. der Nachweis der Gelbbindigen Furchenbiene, die, bedingt durch den Klimawandel, immer weiter nach Norden vorrückt. Die Besiedlung des wärmebegünstigten Steinbruchs und der Halde im Zusammenhang mit dem dortigen Nahrungsangebot kommen dieser Bienenart wohl sehr entgegen. Noch vor 30 Jahren war diese Biene, deren Hauptverbreitungsgebiet mediterran ist, nur vereinzelt in Süddeutschland bekannt.
Die aufgezeigten Beispiele verdeutlichen die Ansprüche und Komplexität der Insektenwelt und darüber hinaus die Bedeutung des NSG „Delligser Steinbruch“. Die Bewahrung solch kleiner Restbiotope ist nicht nur für den Artenschutz überlebenswichtig, sondern hat auch für uns Menschen große Bedeutung. Denn Wildbienen sind zusammen mit den Honigbienen mit Abstand die wichtigsten Bestäuber eines Großteils unserer Kulturpflanzen.
Am 15. Mai 2020 wurde eine neue Info-Tafel der Naturschutzstiftung, der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Holzminden und der BSL am Eingang zum NSG installiert, die auch auf das Betretungsverbot hinweist. Aktuell belegen zwei neue Feuerstellen im NSG, dass das Betretungsverbot nicht ausreichend beachtet wird.
Foto: Biologische Schutzgemeinschaft Lenne-Weser-Leine e.V. (BSL)