Landkreis Holzminden (red). Zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz rückt das Thema der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik durch zahlreiche Gedenkveranstaltungen, Medienberichte und Veröffentlichungen von Publizisten und Forschern in den Fokus der Öffentlichkeit. Mehr als sieben Jahrzehnte nach den monströsen Verbrechen der Nationalsozialisten stellt sich – angesichts der Tatsache, dass die letzten Überlebenden und Zeitzeugen bald sterben werden – die Frage nach dem zukünftigen Umgang mit diesem historischen Ereignis. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Lücken der Geschichtsschreibung stellenweise sehr groß sind.
Mit seinem Buch „Außerhalb der Volksgemeinschaft – Formen der Verfolgung während des Nationalsozialismus im Kreis Holzminden“ ist es dem Autor Klaus Kieckbusch gelungen, auf regionaler Ebene eine große Wissenslücke zu schließen. In den letzten Jahrzehnten wurde die Geschichte der jüdischen Mitbürger und ihre Schicksale während der Zeit des Nationalsozialismus an vielen Orten regionalgeschichtlich untersucht. Dadurch wurden viele Opfer namentlich bekannt und konnten gewürdigt werden. Außerdem wurde deutlich, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht erst in den fernen Konzentrationslagern stattfanden, sondern ihre Basis in der Ausgrenzung und Entrechtung vor Ort hatten. Ohne die unzähligen Mitläufer und Täter vor Ort wäre der Holocaust nicht möglich gewesen.
Aber das Schicksal der Juden ist nur ein – wenn auch besonders schrecklicher – Aspekt der nationalsozialistischen Rassen- und Ausgrenzungspolitik. Auch Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Sozialdemokraten und Kommunisten, Homosexuelle sowie vermeintlich „Asoziale“ und andere Bevölkerungsgruppen, die nicht zum rassistisch und nationalistisch geprägten Weltbild der Nationalsozialisten passten, wurden drangsaliert, verfolgt und ermordet. Die Schicksale dieser Menschen sind vor allem auf regionaler Ebene bisher kaum gewürdigt worden. Klaus Kieckbusch, der vor mehr als 20 Jahren das Buch „Von Christen und Juden in Holzminden“ veröffentlicht hat, ist einer der wenigen Regionalforscher, der sich intensiv mit dem Schicksal dieser nicht-jüdischen Verfolgten beschäftigt hat.
Das Ergebnis seiner Untersuchungen ist erschreckend: Dutzende von Sinti und Roma aus dem Landkreis Holzminden verloren in den Konzentrationslagern der Nazis ihr Leben. Hinzu kommen eine Vielzahl weiterer Opfer aus den oben genannten Bevölkerungsgruppen – aufgrund der Vielschichtigkeit der Verfolgungsmethoden und der Unmöglichkeit, alle Fälle zu recherchieren, verbietet sich die Nennung einer konkreten Zahl. All diejenigen Opfer der Verfolgung, deren Schicksal Klaus Kieckbusch nachspüren konnte, werden in dem Buch genannt. Da an viele dieser Menschen nun erstmals überhaupt in diesem Zusammenhang gedacht wird, handelt es sich bei der Publikation von Klaus Kieckbusch auch um ein Gedenkbuch. Gleichzeitig wird die Frage drängend, wie dieser Opfer auch auf andere Weise gedacht werden kann.
Dr. Jens-Christian Wagner, Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, würdigt in seinem Grußwort die überaus verdienstvolle Arbeit von Klaus Kieckbusch. Darüberhinaus merkt Wagner an, dass insbesondere hinsichtlich der Sinti und Roma die Ausgrenzungsdiskurse und -praktiken nach 1945 nicht endeten, sondern fortbestanden, wenn auch abgemildert. Auch dies zeige Klaus Kieckbusch in erschreckender Deutlichkeit. Es habe eben keine „Stunde Null“ gegeben, sondern viele Kontinuitäten über den April/Mai 1945 hinaus.
Aus Anlass dieser Neuerscheinung, die im Rahmen der Gedenkveranstaltung des Landkreises Holzminden am 2. Februar in Holzen vorgestellt wird, hat der Verlag Jörg Mitzkat das erste Buch von Klaus Kieckbusch „Von Juden und Christen in Holzminden“ neu aufgelegt. Beide Bücher wurden vom Heimat- und Geschichtsverein für Landkreis und Stadt Holzminden herausgegeben, und sind ab dem 3.2.2020 im Buchhandel erhältlich.
Foto: Mitzkat