Weserbergland (r). Das große Krabbeln und Flattern, Teil zwei, startet: Vom 3. bis zum 12. August ruft der NABU unter dem Motto „Zählen, was zählt“ zur bundesweiten Insektenzählung auf. Für die Citizen-Science-Aktion können die Sechsbeiner erneut unter www.insektensommer.de online gemeldet werden. Die Grundidee des „Insektensommers“ ist einfach: Interessierte Laien gehen raus in die Natur, schauen, was da kreucht und fleucht, notieren, was sie erkennen. Wenn das bei Vögeln mit der Stunde der Garten- oder Wintervögel erfolgreich ist, sollte es bei Insekten ebenso funktionieren: schließlich ist der Insektenschwund nicht nur in aller Munde, viele Menschen wollen auch mehr wissen und sie wollen aktiv werden.
Der Hochsommer ist auch die Hochzeit der Insekten: viele der rund 33.000 in Deutschland heimischen Insektenarten können jetzt besonders gut beobachtet werden, wie etwa das Grüne Heupferd, die größte heimische Heuschreckenart. Ihr Zirpen erfüllt um diese Jahreszeit die Wiesen – der typische Sound des Hochsommers. „Beschäftigen Sie sich mit den Sechsbeinern, solange es sie noch gibt“ sagt Britta Raabe von der NABU Regionalgeschäftsstelle Weserbergland und fügt hinzu, dass diese Aussage zwar etwas zynisch ist, aber dennoch den Kern trifft. „Im Gegensatz zu Vögeln können die meisten Insekten kein Jahr ohne Nachwuchs überbrücken.“
Doch trotz aller Rückgänge hat der Einsteiger in das Thema eher ein Überfluss-Problem. Die enorme Vielfalt von 33.000 heimischen Insektenarten kann auf den ersten Blick erschrecken. „Im Vergleich dazu sind die rund 250 bei uns brütenden Vogelarten ein Klacks“ lacht die Naturschützerin. Die Vielfalt ist so groß, dass selbst Experten bestenfalls eine Artengruppe überblicken, niemand kennt auch nur annähernd die 33.000. Von der überwiegenden Zahl der Arten weiß man so wenig, dass nicht einmal eine Gefährdungseinschätzung möglich ist. Also gilt für den Insektensommer erst recht: Jeder so gut, wie er kann – beobachtete Insekten werden daher in Gruppen zusammengefasst. Das Grüne Heupferd ist eine der acht Kernarten, auf die beim zweiten Teil des Insektensommers ganz besonders geachtet werden soll. „Die erwachsenen Männchen sind jetzt unterwegs, um mit ihrem Zirpen Weibchen anzulocken“, sagt Raabe. Weitere Kernarten sind die Tagfalter Schwalbenschwanz und Kleiner Fuchs, der Sieben-Punkt-Marienkäfer, die Ackerhummel, die Holzbiene, die Libellenart Blaugrüne Mosaikjungfer und die Streifenwanze. In der Regel sind die „erwachsenen“ Insekten einfacher zu erkennen. Aber egal ob Raupe, Engerling oder Larve: Wer diese findet und zuordnen kann, darf die Tiere auch in ihrer jeweiligen Entwicklungsphase melden. Gemeldet werden sollen grundsätzlich aber alle Sechsbeiner, die gesichtet werden – denn jedes Insekt zählt!
Besonders interessant ist der Insektensommer für Teilnehmer, die ihren Urlaub in Deutschland verbringen. „Am Urlaubsort könnte es andere Insekten zu entdecken geben als im Garten oder Park zuhause“, so Raabe weiter. „Wer aus Süddeutschland stammt und an der Nordseeküste Niedersachsens Urlaub macht, wird möglicherweise Unterschiede im Vorkommen der Insekten ausmachen können. Beim Insektenzählen kann man so die Natur am Ferienort besonders intensiv erkunden – das ist auch eine tolle Ferienaktivität für Kinder und ein spaßiger Lerneffekt für alle Beteiligten.“
Hilfe beim Bestimmen und Zählen bietet die neue App „Insektenwelt“, die der NABU mit Unterstützung von dm entwickelt hat. Die App hat eine fotografische Erkennungsfunktion, mit der die Tiere automatisch erkannt werden können. Außerdem bietet die App ausführliche Insektenporträts der 122 bekanntesten Arten, die in Deutschland vorkommen. Sie ist kostenfrei unter www.NABU.de/apps erhältlich. Natürlich kann man über die App am Insektensommer teilnehmen. Der Clou ist aber die automatisierte Insektenbestimmung. Eine Mustererkennungs-Software vergleicht vom Nutzer aufgenommene Handybilder und erkennt die Art – wenn es eine von den 120 häufigen ist. „Das gab es bisher nur für Tagfalter, für Insekten allgemein ist die Bilderkennung eine absolute Neuheit“ freut sich die Leiterin der Regionalgeschäftsstelle.
Es geht beim Insektensommer um die Zählung in einem überschaubaren Gebiet, eine sogenannte Punktzählung. Der Beobachtungsraum sollte maximal zehn Meter im Umkreis (= 20 Meter Durchmesser) umfassen. Dadurch wird sichergestellt, dass auf vergleichbar großen Flächen die Insekten beobachtet werden. Für Vögel wäre das wenig Raum, Insekten lassen sich dort viele entdecken. Ebenfalls der Vergleichbarkeit wegen sollte die Beobachtung je Ort nicht länger als eine Stunde dauern. Die gute Absicht der Insektenzählung hat da ihre Grenzen, wo sie die Tiere stört oder den Lebensraum beeinträchtigt. Von Insekten ist nicht bekannt, dass sie seelische Schäden davontragen, wenn man ihnen nahe rückt. Zu körperlichen Schäden kann es bei den zarten Wesen aber leicht kommen, leicht sind von den sechs Beinen nur noch fünf oder vier übrig.
Ungeübte Insektenfreunde sollten daher sehr vorsichtig zu Werk gehen, auch wenn sich ein vorübergehend gefangener Grashüpfer mit der Becherlupe wunderbar von allen Seiten begutachten lässt.
Foto: Kathy Büscher