Eschershausen (red). Sie war eine engagierte Persönlichkeit, die nicht nur viele Jahre der Stadt Eschershausen treu blieb, sondern die Stadt auch maßgeblich mitgestaltete und gemeinsam mit ihrem Vater und ihrem Ehemann ein weltweit tätiges Unternehmen aufbaute. Die Rede ist von Brigitte Stehncken. Sie erblickte am 28. August 1923 in Lübben im Spreewald, als Tochter des königlich-preußischen Majors a.D. und Unternehmers Hans Scheibert und seiner Ehefrau Erika, geborene von Frankenberg-Lüttwitz, das Licht der Welt. In ihrem Leben galt es, viele Schicksalsschläge einzustecken, aber auch viele schöne Momente zu erleben.
Brigitte Stehncken wuchs in Berlin-Zehlendorf auf, lernte dort Ballett, musste aber schon bald zu Kriegsbeginn in das Mädchen-Internat Wieblingen bei Heidelberg umziehen. In den Kriegsjahren arbeitete sie in den väterlichen Betrieben. Ende Januar 1945 erfolgte die Flucht aus Jannowitz, Kreis Hirschberg, in Schlesien, zusammen mit den Eltern und dem Kindermädchen Pauline, der großen Seele der Familie, zunächst nach Großschönau in Sachsen, wo der Vater ein Werk besaß. Gerade einmal drei Wochen später ging es von dort im halboffenen Lastwagen bei Schnee und Kälte weiter nach Uslar im Solling, wo der Vater Fabrikgut ausgelagert hatte. In diesem Verlauf kamen sie auch an dem Mitte Februar 1945 zerstörten Dresden vorbei.
Das darauf folgende Kapitel Uslar war von einer ungeheuren persönlichen Dramatik gekennzeichnet. Hier erlebte Brigitte Stehncken das Kriegsende, d.h. eigentlich beinahe nicht. Denn ein brutaler SS-Offizier ließ sie mit fadenscheiniger Begründung vor ein Erschießungskommando treten, wo bereits viele Volkssturmmänner in Todesangst ausharrten. Tags zuvor hatte sie als Rotkreuzschwester einen Kreis von SS-Offizieren inständig gebeten, die Stadt nicht zu einer Ritterkreuzstellung zu erklären, da die anrückenden Amerikaner die Stadt total zerstören würden. In dieser äußerst brisanten Todes-Situation schaffte sie es jedoch, mit furchtloser, klug kalkulierter Argumentation, den SS-Offizier zum Einlenken zu bewegen. Niemand der Gefangenen wurde erschossen und die Stadt Uslar durfte bald darauf unversehrt und aufatmend ihre Befreiung erfahren.
In Uslar lernte sie schließlich auch ihren Mann Gerd Stehncken aus Hannover kennen, den sie 1947 heiratete. Nachdem Tochter Gabriele geboren war, zog die Familie nach Eschershausen in den Hüschebrink. Hans Scheibert kaufte in seinem unbändigen Unternehmergeist zunächst die Spirituosenfirma Hindenberg, was ihm dann half, 1951 eine neue Schlauchbootfabrik zu gründen, in die auch Schwiegersohn Gerd Stehncken mit einstieg. Etwas später wurde Tochter Sibylle geboren. Es erfolgten die Aufbaujahre eines bedeutenden Unternehmens, das noch heute in der Raabestadt existiert.
1961 folgte ein weiterer Schicksalsschlag im Leben von Brigitte Stehncken. In der gerade gut florierenden Schlauchbootfabrik kam es zur Explosion, das sich ausbreitende Feuer zerstörte das eben erst geschaffene neue Lebenswerk. Auch hier bewies Frau Stehncken wiederum großen Mut, weil sie unter Einsatz ihres Lebens in letzter Minute wichtigste Dokumente aus der Firma rettete. Glücklicherweise waren seinerzeit keine Menschenleben zu beklagen. Aber der Schock saß bei allen Betroffenen tief; bei der Familie und bei den Angestellten. Woher die Kraft nehmen zu einem erneuten Anfang? Dennoch, der Wiederaufbau gelang unter großen Anstrengungen, sogar alle Arbeitsplätze konnten erhalten werden. Die Deutsche Schlauchboot wurde neben anderen Bereichen zu einem internationalen Inbegriff von Rettungsinseln. „DSB“ entdeckt man immer wieder auf den Schiffen weltweit. Im Jahre 1967 wurde dem Vater von Frau Stehncken, Hans Scheibert (1887–1969), sogar die Ehrenbürgerschaft der Stadt Eschershausen verliehen. 1981 wurde der für die Familie nicht leichte Entschluss gefasst, die Schlauchbootfabrik in andere Hände zu geben. Im Jahre 2001 verstarb nach 54 Ehejahren ihr Ehemann Gerd Stehncken.
Vor 10 Jahren wurde sie dann Gründungsmitglied des Mehrgenerationenhauses in Eschershausen, an dessen Etablierung sie entscheidend mitwirkte. Auch in ihren späteren Jahren büßte Brigitte Stehncken nichts von ihrem Engagement ein, bis Ende Mai des vergangenen Jahres war sie noch ehrenamtlich in der Secondhand-Boutique „Tabea“ in Eschershausen tätig, die sie einst mitinitiierte bzw. im Jahre 2009 maßgeblich beteiligt, mit ins Leben gerufen hatte.
Kürzlich ist Frau Brigitte Stehncken im Alter von 94 Jahren verstorben. Mit ihrem Tod ist eine Person von uns gegangen, die weit über ein halbes Jahrhundert zu den Menschen des Stadtbildes gehörte.
Ihre letzten Lebensmonate verbrachte sie in München, wo sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes, der sich im vergangenen Jahr zu verschlechtern begann, durch ihre Tochter Gabriele von Schwerin betreut wurde. Tochter Sibylle Stenz-Stehncken und Enkelsohn Alexander vertraute sie seitdem die Betreuung ihres Anwesens in Eschershausen an.
Damit schloss sich für Brigitte Stehncken auch jenes Kapitel ihres Lebensbuches, das sie lange Zeit eng mit Eschershausen verband. Sie starb am 5. Februar 2018 im Kreise der Familie und wurde am 17. Februar im Beisein ihrer Angehörigen und unter großer Anteilnahme aus der Bevölkerung auf dem Eschershäuser Friedhof zur letzten Ruhe beigesetzt. Großer Trost wurde dabei von Herrn Pastor i.R. Dörrie im Rahmen seiner Beerdigungsansprache vermittelt. Die Stadt wird Brigitte Stehncken ein ehrendes Gedenken bewahren.
Foto: Foto Liebert