Holzminden (red). Das Thema Dienstpflicht ist nicht nur hochaktuell, sondern bietet auch reichlich Stoff für intensive Diskussionen. Das zeigte der politische Stammtisch der heimischen Abgeordneten Mareike Lotte Wulf MdB und Uwe Schünemann MdL eindrucksvoll. Im create:hub war der Veranstaltungsraum gut gefüllt, die Debatte lebhaft und engagiert.
An der Diskussion beteiligten sich unter anderem der Schülersprecher des Campe-Gymnasiums, Maximilian Rose, die Schülerin des Internats Solling, Marla Michel, Brigadegeneral Marco Eggert sowie der Rechtsprofessor Mattias Fischer. Einigkeit bestand darüber, dass die Werte der Demokratie verteidigt werden müssen. Wie dieses Ziel erreicht werden kann und ob dabei insbesondere die junge Generation die Hauptlast tragen sollte, blieb jedoch umstritten.
Unterschiedliche politische Positionen
Die Moderation des Abends übernahm Uwe Schünemann, der sich bereits als Innenminister klar gegen das Aussetzen der Wehrpflicht ausgesprochen hatte. Mareike Lotte Wulf erklärte, sie habe auf dem CDU-Bundesparteitag 2011 aus Überzeugung für den Vorstoß von Verteidigungsminister zu Guttenberg gestimmt. Dadurch sei bei den Gastgebern eine politische Ausgewogenheit gegeben gewesen.
Der Bundestag hat inzwischen ein neues Wehrdienstmodell beschlossen, das Freiwilligkeit mit einer bedarfsorientierten Pflicht verbindet. Ab dem kommenden Jahr sind alle Männer ab dem Geburtsjahrgang 2008 zur Musterung verpflichtet. Brigadegeneral Marco Eggert begrüßte das Modell grundsätzlich, betonte jedoch, dass die Bundeswehr zeitnah personell verstärkt werden müsse. Die russische Invasion in der Ukraine sowie hybride Angriffe auf Deutschland hätten die sicherheitspolitische Lage deutlich verschärft. Die Bundeswehr solle auf 260.000 aktive Soldaten anwachsen und zusätzlich 200.000 Reservisten gewinnen. Eine Rückkehr zur Wehrpflicht könne daher nicht ausgeschlossen werden.
Stimmen der jungen Generation
Maximilian Rose schloss einen Wehrdienst für sich persönlich nicht grundsätzlich aus. Er wies jedoch darauf hin, dass die junge Generation dadurch Zeit verliere, die besser für eine Ausbildung oder ein Studium genutzt werden könne. Wehrdienstleistende dürften dabei nicht schlechter gestellt werden. Zudem werde in den Schulen bislang zu wenig über die Bundeswehr informiert, sodass vielen Jugendlichen konkrete Vorstellungen vom Dienst fehlten.
Marla Michel machte deutlich, dass die Gleichberechtigung von Frauen aus ihrer Sicht noch nicht vollständig umgesetzt sei. Das Argument einer Wehrpflicht für Frauen greife daher derzeit nicht. Gleichzeitig müssten Frauen bei der Bundeswehr die gleichen Chancen erhalten.
„Warum sollen junge Menschen etwas für den Staat leisten, wenn der Staat an anderer Stelle nicht für sie funktioniert?“, fragte Marla Michel und brachte damit einen zentralen Punkt der Diskussion auf den Tisch. Eine erkennbare Priorisierung der jungen Generation könne sie nicht erkennen. Politik müsse insgesamt verlässlicher werden, und ein Dienst bei der Bundeswehr oder für die Allgemeinheit müsse einen echten Mehrwert bieten.
Verfassungsrechtliche und gesellschaftliche Perspektiven
Brigadegeneral Eggert betonte, dass die Bundeswehr viel zu bieten habe. Weder das monatliche Entgelt noch der Führerscheinerwerb stünden dabei im Vordergrund. Vielmehr gehe es um Werte wie Teamgeist, Zuverlässigkeit und Disziplin, die auch im zivilen Berufsleben zunehmend gefragt seien. Die Bundeswehr sei ein attraktiver Arbeitgeber mit vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. In anderen Bundesländern berichteten Jugendoffiziere regelmäßig an Schulen über diese Möglichkeiten. „Das werden wir in Niedersachsen beantragen“, kündigte Uwe Schünemann an.
Professor Mattias Fischer von der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit erinnerte daran, dass die Bundeswehr vor rund siebzig Jahren als Wehrpflichtarmee gegründet wurde. Durch die Grundgesetzänderung von 1968 seien Verteidigungsauftrag und Wehrpflicht weiterhin eng miteinander verbunden. Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, dass eine Freiwilligenarmee nur unter dem Vorbehalt einer funktionierenden Landes- und Bündnisverteidigung zulässig sei. Die zu Beginn der 2000er Jahre als gering eingeschätzte äußere Bedrohungslage habe die Aussetzung der Wehrpflicht ohne Verfassungsänderung ermöglicht.
Sollte die sicherheitspolitische Lage jedoch eine Personalstärke erfordern, die durch Freiwillige nicht erreicht werden könne, sei die Wiedereinführung der Wehrpflicht verfassungsrechtlich geboten, so Fischer. Gleichzeitig sei das Recht auf Kriegsdienstverweigerung im Grundgesetz verankert und Voraussetzung für die notwendige Stärkung des Zivil- und Katastrophenschutzes.
Gesellschaftsdienst als möglicher Kompromiss
Diesen Gedanken griff die parlamentarische Staatssekretärin Mareike Lotte Wulf auf. Der Bundesfreiwilligendienst sei eine Erfolgsgeschichte. Jährlich engagierten sich rund 35.000 Menschen freiwillig im Katastrophenschutz sowie in sozialen, ökologischen, kulturellen oder sportlichen Bereichen. Gleichzeitig seien die Aufgaben des Bevölkerungsschutzes und die Bedarfe im Gesundheitswesen deutlich gestiegen. Vor diesem Hintergrund sei ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für Männer und Frauen eine mögliche Antwort auf die aktuellen Herausforderungen. Ein solcher Dienst könne zudem Orientierung für die spätere Berufswahl bieten, auch im Handwerk.
In der anschließenden Diskussion fand der Beitrag von Donata von Neree, Politiklehrerin am Internat Solling, besondere Beachtung. Sie stellte die Frage, warum die enorme Verantwortung für die Verteidigungsfähigkeit vor allem auf die Schultern der Jugendlichen verlagert werde. Einigkeit bestand darüber, dass dies nicht geschehen dürfe. Gleichzeitig wurde darauf verwiesen, dass das Aussetzen der Wehrpflicht dazu geführt habe, dass eine ganze Generation als Reservisten fehle.
Uwe Schünemann zog abschließend ein Fazit aus der intensiven Diskussion. Für ihn sei ein Gesellschaftsdienst als Kombination aus Wahlpflichtdienst für Männer und Freiwilligendienst für Frauen derzeit die beste Lösung. Männer könnten dabei zwischen der Bundeswehr und Organisationen des Zivil- und Katastrophenschutzes wählen. Eine grundgesetzändernde Mehrheit für eine allgemeine Dienstpflicht sei aktuell nicht absehbar. Daher müsse ein solcher Dienst durch besondere Anreize wie verkürzte Wartezeiten auf Studienplätze oder höhere BAföG-Leistungen attraktiv gestaltet werden. Politische Bildung solle dienstübergreifend organisiert werden, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.
Besonders großen Applaus erhielten Maximilian Rose und Marla Michel für ihre engagierten Beiträge. Die einhellige Meinung der Anwesenden lautete, dass man sich mit solch reflektierten und rhetorisch starken Jugendlichen um den Nachwuchs keine Sorgen machen müsse.
Foto: Echzell