Landkreis Holzminden (red). Auftakt für das Projekt „Dorf ist nicht gleich Dorf“: Im Kreishaus Göttingen kam erstmals die Projektgruppe mit Vertretern von Land, vier Landkreisen, Hochschulen und Bildungsträgern am 07.12.2017 zusammen. Das Modellvorhaben „Dorf ist nicht gleich Dorf“ wurde in Südniedersachsen von den Landkreisen Göttingen, Goslar, Holzminden und Northeim initiiert, um die Entwicklungschancen eines einzelnen Ortes noch besser erkennen und dorfgerecht fördern zu können. Ziel des Projektes ist es, in Zusammenarbeit mit zunächst 16 ausgewählten Dörfern aus den vier Landkreisen ein neuartiges Qualifizierungsmodul Dorfmoderation zu entwickeln, das insbesondere dorf- und regionsspezifische Einflussfaktoren, Handlungspotenziale und bereits vorhandene Engagementstrukturen in dörfliche Moderationsprozesse einbezieht.
Im Zentrum des Konzepts der Dorfmoderation steht die professionell angeleitete Qualifizierung ehrenamtlich tätiger Dorfbewohnerbewohner, die in ihrer Funktion als Dorfmoderator an der Aktivierung der Dorfgemeinschaft mitwirken. Sie suchen angesichts der Folgen ländlichen Strukturwandels und demografischer Veränderungen nach Wegen, um das Dorf als Wohn-, Wirtschafts- und Lebensraum attraktiv zu erhalten. Dieses Vertiefungsmodul schließt an die jetzt schon vom Land Niedersachsen angebotene Qualifizierung „Dorfmoderator BMQ“ an.
Ein weiterer Teil des Konzeptes ist die Erarbeitung und Erprobung von tragfähigen Netzwerkstrukturen in und zwischen den Dörfern und Landkreisen und in der Region Südniedersachsen, die zu einer Verstetigung der Dorfentwicklung führen. Die Instrumente und Möglichkeiten der Dorfmoderation können durch einen gezielten Austausch zwischen den Dörfern zu besserer Entfaltung kommen. Das Modellvorhaben strebt eine Region des Austausches und Lernens in Südniedersachsen an.
Das Modellvorhaben „Dorf ist nicht gleich Dorf“ setzt an dem Potenzial der dörflichen Struktur zu Selbsterneuerung und Selbsthilfe an. Eine aktive Dorfgemeinschaft, ein reges Vereinsleben, ein konstruktiver Austausch zwischen Jung und Alt, Alteingesessenen und Neubürgern – das sind Voraussetzungen, die dazu beitragen können, dass ein Dorf lebendig und attraktiv bleibt. Die Bedingung dafür ist, dass Dorfbewohner Gelegenheiten haben, miteinander ins Gespräch zu kommen. Und: Sie sollten sich mit ihren Erfahrungen, Ideen, Problemanzeigen und Fähigkeiten an der Entwicklung ihres Ortes beteiligen können.
Damit das gelingt, brauchen Dörfer kundige Menschen, die bereit sind, diese Strukturen zu stärken und Prozesse anzustoßen. In der Regel werden diese Aufgaben von den gewählten Gremien und den Vereinen wahrgenommen. Unter den Vorzeichen des demografischen Wandels braucht es oft eine ergänzende Kraft. Ein Dorfmoderationsteam kann dabei unterstützen, Menschen im Ort zu motivieren und zu aktivieren und verschiedene Bewohnergruppen zusammen zu bringen. Zudem unterstützen Dorfmoderatoren bei der Moderation und Dokumentation von Dorfversammlungen und vermitteln zwischen modernem und traditionellem Dorfleben.
Aus dem Landkreis Holzminden nehmen bislang die Dörfer Kirchbrak, Lenne und Neuhaus am Modellvorhaben teil. Sie sind in unterschiedlicher Ausprägung beteiligt – das liegt in der Natur des Projekts „Dorf ist nicht gleich Dorf“. Zudem befindet sich das Modellvorhaben in der Anfangsphase, sodass Prozesse in den Ortschaften erst angestoßen sind. Das Ziel von „Dorf ist nicht gleich Dorf“ ist, die spezifischen Entwicklungsprozesse in möglichst vielen Ortschaften zu initiieren und zu verstetigen. Das Projekt ist offen für weitere Interessierte.
Projektträger ist der Landkreis Göttingen in enger Kooperation mit den Landkreisen Northeim, Holzminden und Goslar, die das Projekt auch finanziell unterstützen. Auftragnehmer ist zum einen das SOFI – Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen an der Georg-August-Universität in Zusammenarbeit mit der HAWK Fakultät Ressourcenmanagement Göttingen, die zusammen das Forschungsteam bilden. Zum anderen wird das Praxisteam von der der LEB – Ländlichen Erwachsenenbildung Niedersachsen, Regionalbüro Göttingen und der Freien Altenarbeit Göttingen e.V. besetzt. Gefördert und begleitet wird das Modellprojekt von dem Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Laufzeit ist Oktober 2017 bis November 2020.
Vorgesehen ist eine enge Zusammenarbeit des Forschungsteams mit dem Praxisteam, das für die Entwicklung und praktische Anwendung des Qualifizierungsmoduls Dorfmoderation zuständig ist. In mehreren aufeinander aufbauenden Arbeitsschritten soll zunächst ein vom Forschungsteam zu entwickelndes Dorfanalyseschema in das Curriculum des Qualifizierungsmoduls integriert werden. Anschließend wird es im Rahmen der Qualifizierungsmaßnahme an zwei Bildungsstandorten gemeinsam mit den auszubildenden Dorfmoderatorinnen und Dorfmoderatoren erprobt.
Vorgesehen ist zudem die Evaluation des gesamten Fortbildungsdurchgangs, gestützt auf Gruppendiskussionen, Einzelinterviews sowie einer schriftlichen Befragung aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Qualifizierungsmaßnahme. In einem abschließenden Arbeitsschritt wird das Forschungsteam seine Erkenntnisse aus den Dorfanalysen nutzen, um gemeinsam mit dem Praxisteam Bedingungsfaktoren zu definieren, die die Übertragbarkeit des im Projektverlauf erarbeiteten Qualifizierungskonzepts ermöglichen sollen.
Hintergrund
Das Dorfleben bietet aufgrund seiner Überschaubarkeit, menschlichen Nähe und der Nähe zur Natur besondere Qualitäten. In allen Dörfern bilden die Menschen mit ihren vielfältigen Fähigkeiten, ihrer Bereitschaft zum Engagement und eine ausgeprägte soziale Infrastruktur ein besonderes Potenzial für gemeinschaftliches Handeln zum Wohle einer solidarischen Dorfgemeinschaft. Vor allem die Dörfer in den peripheren, strukturschwachen ländlichen Gebieten stehen allerdings auch vor großen Herausforderungen.
Der Wandel dörflicher Lebenswelten in den vergangenen Jahrzehnten führte zu problematischen Entwicklungen: zu Bevölkerungsrückgang der Dörfer durch Abwanderung der Jüngeren sowie Überalterung der verbliebenen Dorfbevölkerung, zu Wegbrechen der lokalen Infrastruktur im Bereich der alltäglichen Daseinsvorsorge sowie häufig auch zur Erosion der sozialen Infrastruktur sowie des sozialräumlichen Zusammenhalts im Dorf, etwa durch Auflösung von Vereinen und Schließung von Jugendräumen, durch Streichung von Pfarrstellen oder den Abbau kirchlicher Gemeindeeinrichtungen.
Foto: Landkreis Göttingen