Heinade (kp). Die Kirchen sind geschlossen und seit Wochen finden keine Gottesdienste oder Andachten statt. Grund genug also, ein „kleines Zeichen“ an die Gemeinde zu richten. Pastor Stefan Melcher hat angefangen für jeden Haushalt in Heinade ein Brot zu backen und es, mit einem kleinen Gruß versehen, unmittelbar vor jede Haustüre abzulegen. Unser Redakteur, Kai Pöhl, hat ihn zu Hause besucht und sich den Prozess des Brotbackens im selbstgebauten Steinofen zeigen lassen.
Die Brotlaibe backen seit wenigen Minuten im selbstgebauten Steinofen vor sich hin. Damit ist der Großteil der Arbeit vorerst erledigt. Die Backzeit beträgt ungefähr eine Dreiviertelstunde und sie ermöglicht dem Pastor und ehemaligen Missionar eine kleine Ruhepause einzulegen, bevor er die Brote aus dem Ofen holt, sie mit einem persönlichen Gruß versieht, in eine Papiertüte packt und an alle Haushalte in seinem Heimatdorf verteilt. Während dieser kleinen Pause positioniert er sich dann vor dem Ofen in seinem kleinen Backhaus im Pfarrgarten und zündet eine Zigarre an. Es ist eine Art Ritual geworden, seit er mit dem Brotbacken angefangen hat. Der fast 60-jährige Stefan Melcher ist seit 2007 Standortpfarrer für acht Dörfer, darunter Heinade, seinem neuen Heimatdorf und seit der Corona-Krise ist er in einer neuen Mission unterwegs.
„Es soll in dieser Zeit einfach ein kleines Zeichen für das Dorf sein“, sagt er. Im kleinen Backhaus vermischt sich nach jedem Zug immer mehr Zigarrenrauch mit dem Duft von verbranntem Fichtenholz. Ganz langsam verbreitet sich auch der Geruch frisch gebackenen Brotes, der aus dem Ofen dringt. Auf dem Steinofen und in einem der Regale an der Wand befinden sich zum Teil leere Zigarrenboxen mit derselben Aufschrift: „Corona“. Ein irrer Zufall. „Corona bezeichnet eigentlich nur die Größe der Zigarre“, klärt der Pastor auf. „Die sind relativ lang und etwas dicker als übliche Zigarren“, fügt er hinzu.
„Corona“, das ist auch der Grund, warum der Pastor derzeit mehr oder weniger „arbeitslos“ ist. Seitdem Mitte März öffentliche Einrichtungen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus geschlossen wurden, mussten auch Kirchen schließen und ihre Gottesdienste und Andachten einstellen. Zu dem Zeitpunkt sei seine Idee gereift, jeden der ungefähr 120 Haushalte in Heinade mit einem Laib selbstgebackenen Brotes zu beschenken. „Seit es die Empfehlung gab, zuhause zu bleiben, wollte ich zuerst für die Älteren Brot backen“, sagt er. Doch dann habe ihn der Ehrgeiz gepackt. „Und dann wollte ich, dass jeder davon profitiert“, fügt der Pastor und gelernte Koch mit einem Schmunzeln hinzu.
Unser Besuch beim Pastor erfolgt am Mittwoch vor Karfreitag. Einen Gottesdienst hat Stefan Melcher für den höchsten Feiertag der Christenheit nicht vorzubereiten. „Das ist schon irgendwie komisch“, sagt er. In seiner gesamten Zeit als Pastor sei das noch nie vorgekommen. Dann widmet er seine volle Aufmerksamkeit wieder dem Ofen und dem Geschehen, das sich in ihm abspielt. Immer wieder überprüft er die Temperatur oder streicht die Brote mit Wasser ein, damit sie später eine glänzende Kruste bekommen. Wenn das Brot fertig gebacken, verpackt und verteilt sein wird, wird er ungefähr die Hälfte der angestrebten 120 Stück erreicht haben.
Zweimal pro Woche backt er im Schnitt je 16 Brote, die, wie sollte es anders sein, mit dem Kreuzschnitt versehen sind. Doch der Arbeitsprozess beginnt nicht am Backtag, wenn er den Ofen um acht Uhr morgens entzündet, sondern schon am Abend zuvor, mit der Zubereitung des Backteigs. „Ich habe da ein neues Rezept auf Youtube entdeckt“, freut sich der Hobbybäcker. Es sei das beste Rezept, das er je hatte. „Ich stelle zwei Teige her, einen aus Bioroggen und einen aus Bioweizen“, erklärt er. Zu dem Bioroggen mischt er ein wenig vorbereiteten Sauerteig für den Geschmack und lässt beide Teige anschließend nebeneinander liegen, damit die Säure übergeht. „Ich nenne es die Hochzeit der Teige“, schmunzelt Stefan Melcher. Sie sollen sich über Nacht kennenlernen. Am nächsten Tag werden beide zu einem Teig zusammengeknetet, in 16 weitere (Brot-)Teile portioniert und anschließend in den Ofen geschoben.
Die Resonanz über die bisher verteilten Brote sei großartig. „Die Leute finden das klasse“, weiß der Pastor. Das Feedback erhält er dieser Tage dann per Telefon oder via Facebook, denn dort ist Stefan Melcher ebenfalls sehr aktiv. Seit seine Gottesdienste ausfallen, hinterlässt er auf seiner Pinnwand regelmäßig geistliche Tagesimpulse. Diese Zweiheit sei ihm wichtig: Zum einen in Form eines Laib Brotes und zum anderen in Form eines geistlichen Impulses die Gemeinde erreichen. Manchmal, wenn sich jemand ganz besonders über das Geschenk vom backenden Pastor gefreut hat, gibt es sogar ein Geschenk zurück. „Einmal bekam ich selbstgemachten Likör“, erinnert er sich. Der Likör war mit einem Zettel und einem Gruß bestückt, und zwar im selben Layout wie der Pastoren-Gruß auf dem Brot in der Papiertüte. Auf dem Zettel stand: „Schönen Gruß von Deinen Schäfchen, bleib gesund und munter und halte Abstand.“
Fotos: Kai Pöhl